Den Alltag hinter sich lassen, die Natur genießen und einfach mal das Leben Leben sein lassen, das wünschen sich viele Menschen in unserer doch recht hektischen Zeit. Wir nehmen euch mit auf eine Reise zu den Großmeistern der Achtsamkeit: den Tieren!
„Wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid“ ruft Anke lachend einem großen Wollknäuel zu, aus dem ab und an eine Kinderhand erscheint, um kurz darauf wieder zu verschwinden. Doch Paula hat alles im Griff und weist die neugierigen Alpakas immer wieder mit einem strengen Blick, gefolgt von einem beherzten Kichern, zurecht. Mama Anne beobachtet das bunte Treiben mit hochgezogenen Augenbrauen, wendet sich dann aber wieder Klein-Theo zu, der sich mit tollpatschigen Schritten einen Weg durch die Alpakas bahnt.
Es ist Sonntagnachmittag und die Sonne steht hoch am Himmel – ein fantastischer Frühlingstag. Noch vor einer halben Stunde fragte die Sechsjährige zum dritten Mal, wann man denn endlich da sei, während sich das Auto von Papa Sascha die Uferstraße gen Harbshausen schlängelte.
Kellerwald-Alpakas in Herzhausen
In dieses kleine Dorf am Rande des Nationalparks Kellerwald-Edersee verirrt man sich nicht aus Versehen. Wer hier herkommt, hat ein Ziel: Sei es das gebuchte Ferienhaus, den Wanderparkplatz Himmelsbreite oder – wie unsere Familie – den Hof der Kellerwald-Alpakas.
Anke und Thomas Gerdau warteten schon und Tochter Milena kommt gerade mit einer handvoll Leinen aus dem Stall, als wir auf dem Hof einfahren. Kaum war die Schiebetür auf, fing der fast 2-Jährige an, in seinem Autositz herumzurutschen. Nur wenige Sekunden später sah man ihn in der quietschgrünen Jacke über den Hof flitzen.
Geführte Wanderungen
Ohne langes Federlesen ging es sofort „ans Tier“, und da stehen sie nun inmitten eines Meeres aus wollig-weichen Kerlen mit steiler Frise.
Nach einem kurzen Kennenlernen und rund 15-minütiger Knuddelphase nimmt Milena das Zepter bzw. die Halfter in die Hand. Gemeinsam mit Paula wählt sie die vier Tiere aus, die sie auf der heutigen Wanderung begleiten werden.
Aufgrund des inzwischen leeren Futtereimers ist das Gerangel um die beiden immer noch groß, und zwei der flauschigen Bärchen fangen an, ein bisschen aufmüpfig zu werden.
„Na, du bist aber auch ein ganz starker Kerl, oder?“ fragt Paula trocken. Die Erwachsenen lachen – es verspricht ein schöner Nachmittag zu werden.
Tier-Wanderungen im Trend
Bereits seit einigen Jahren, spätestens aber mit dem Beginn der Corona-Pandemie hat die Nachfrage rund um das Thema Wanderungen und Trekking mit Tieren zugenommen. Immer häufiger liest man vor allem in den Urlaubsregionen von geführten Touren mit verschiedenen Reit- und Lasttieren. Alpakas und Lamas zählen hier inzwischen schon fast – wie die Pferde – zu den alten Hasen. Deutlich seltener, aber auch äußerst beliebt sind Ziegen, Esel und ihre Verwandten, die Maultiere.
Maultierhof in Bad Bildungen
Einen solchen Betrieb betreibt Julia Krüger im nicht allzu weit entfernten Bad Wildungen-Wega. Neben 15 Maultieren besitzt sie auch drei Pferde und diverse Katzen, die bei jedem Kennenlernen ihren großen Geschwistern gekonnt die Show stehlen. Auch sie bietet neben dem *fast* klassischen Wanderreiten (siehe Kasten) die geführten Trekkingtouren mit Halfter und Führstrick an. Die Besonderheit: Ein Teilnehmer der Tour sitzt im Sattel und genießt die vorbeiziehende Landschaft, während ein anderer die Tiere führt. Verständlicherweise geht das bei anderen Tieren, wie Ziegen oder Alpakas, nicht.
Mit den wilden Jungs on Tour
Etwas verloren stehen Karl, Michel, Jockel und Oskar gehalftert auf dem Hof und blicken über den Zaun zu ihren Kumpels auf der Koppel. Die Herdentiere fühlen sich am wohlsten im großen Knäuel und das merkt man, als sie schließlich dicht an dicht – jeweils einen Menschen am Strick – den Hof in Richtung Kellerwald verlassen.
Doch schon nach einigen 100 Metern löst sich die anfängliche (teilweise auch freudige) Anspannung – alle Teilnehmer dieser doch sehr lustig aussehenden Karawane kommen ins Entspannen und Genießen.

Der Gassi-Effekt
Jeder, der einen Hund hat, wird es kennen: Man kommt einigermaßen gestresst von der Arbeit und hat eigentlich nicht so wirklich Lust, jetzt noch eine gefühlte Ewigkeit durch den Wald zu stiefeln. Doch der Hund starrt einen mit großen Kulleraugen an und möchte nun nach einem weitestgehend entspannten Tag mit einem gelegentlichen Wechsel zwischen Couch und Bettchen doch noch etwas Schnüffel-Action im Grünen erleben. Die nicht mehr ganz so saubere „Gassi-Hose“ wird also angezogen und die Füße werden mit dicken Socken in den Stiefeln verpackt.
Die 10 Minuten der Wegstrecke ziehen sich noch wie Kaugummi, und die Gedanken mit all den (un-)wichtigen Dingen des Tages drehen sich reihum im Kreis. Doch mit jedem Meter werden die Gedanken leiser, und wenn dann auch noch der Hund seine dollen fünf Minuten überwunden hat, kehrt Ruhe in Geist und Seele ein. Und ehe man sich‘s versieht, dreht man den Schlüssel im Schloss der heimatlichen Haustür und kann entspannt in den Abend blicken.
Therapeuten auf vier Beinen
Genau um diesen Aspekt – nennen wir es „Gassi-Effekt“ – geht es auch bei den Wander- und Trekkingtouren mit Tieren. Tiere haben uns gegenüber einen riesigen Vorteil – sie leben im Hier und Jetzt! Sie machen sich keine großen Gedanken darum, was vor 20 Minuten war, noch kümmert es sie, was in zwei Stunden passiert. Sie möchten jetzt fressen, jetzt die spannende Kaninchenspur erkunden oder eben auch jetzt gerade mal etwas ganz anderes machen als Herrchen an der Leine.
Nichts davon ist geplant – alles ist jetzt! Und jetzt tut uns gut, denn bei uns gibt es im Alltag gar kein Jetzt mehr, sondern wir leben im konstanten Zustand von Planung und Erinnerung. Aber nicht nur Tiere, sondern auch Kinder sind noch – ganz anders als wir – in der Lage, die Gegenwart unberührt von Zukunft und Vergangenheit wahrzunehmen.
Einmaliges Naturerlebnis
Paula und Theo sind verzückt. Die kleine Edertalerin hat inzwischen die Führung übernommen und neben Oskar auch noch Jockel am Strick. Brüderchen Theo reckt sich in seinem Trage-Rucksack immer wieder über Saschas Schulter und quietscht vergnügt. Auch die Erwachsenen genießen – in großen Teilen schweigend – den entspannten Spaziergang. Immer wieder bleiben sie stehen, atmen die frische Frühjahrsluft ein und genießen den Ausblick.
Die Strecke verläuft über Feldwege, entlang an bald grünenden Wiesen und öffnet an vielen Stellen auch immer den Blick in die Ferne. Auch ein wenig Waldstrecke ist dabei, etwa auf halber Höhe macht die inzwischen doch etwas hungrige Meute erst einmal eine kurze Rast und gönnt sich ein paar Kekse.
Auszeit vom Alltag
Pause muss sein – auch bei den Maultier-Wanderungen mit Julia Krüger. Jedoch ist das gemeinsame Picknick bei ihren Tageswanderungen – anders als bei den Alpaka-Wanderungen, die ja in der Regel nur etwa zwei Stunden gehen – noch einmal ein Erlebnis für sich. Regionale Produkte und lecker zubereitete Speisen werden an einem der wunderschönen Rastorte auf ihren Strecken mit Ruhe und Genuss vertilgt.
Natürlich bietet der Maultierhof auch Kurztrekkings ohne Picknick an, aber wer sich wirklich einmal ganz auf die Tiere einlassen und entspannen will, sollte unbedingt eine Tagestour machen.
Wanderreiten
Eine weitere Art, gemeinsam mit einem Tier ein einmaliges Naturerlebnis zu verbringen, ist das Wanderreiten. Hier ist man oft über mehrere Stunden, manchmal auch mehrere Tage unterwegs und legt mit den Reittieren – vor allem in den langsamen Gangarten – lange Distanzen zurück. Übernachtet wird dabei oft in sogenannten Wanderreitstationen, wo neben den Menschen auch die Tiere gut versorgt sind.
Pferde sind natürlich für diese Art der Fortbewegung prädestiniert, und auch wenn es viele Reithöfe gibt, die einen Ausritt anbieten, gehört zum Wanderreiten doch ein bisschen mehr. Deshalb gibt es deutschlandweit inzwischen eine ganze Reihe von Höfen, die sich auf diese Art der Fortbewegung spezialisiert haben und die Touren mit ausgebildeten Wanderrittführer:innen anbieten.
Eine von ihnen ist Maultierhof-Besitzerin Julia Krüger, ebenfalls in 1998 mit einem klassischen Wanderreitbetrieb in ihrer alten Heimat gestartet. Als 2007 dann allerdings ihr allererstes Muli (Kurzform für Maultier) namens Lukas an den Hof kam, wuchs die Idee, sich mit dem Betrieb in eine neue Richtung zu entwickeln. Heute hat sie nur noch drei Pferde, dafür aber 14 Maultiere am Hof und bietet neben den im Haupttext erwähnten Trekkingtouren auch (mehrtägige) Wanderritte. Hierfür sollten die teilnehmenden Personen allerdings einige Voraussetzungen erfüllen: Neben den Reitkenntnissen ist vor allem das Gewicht der Reiter ein wichtiges Kriterium.
Dann steht allerdings dieser besonderen Begegnung zwischen Mensch und Tier nichts mehr im Weg. Lukas ist übrigens immer noch oft bei Julias Ausflügen dabei – als Begleittier.
Dialog zwischen Mensch und Tier
Eine wertvolle Verbindung schaffen zwischen Mensch und Tier – das ist Julia Krüger besonders wichtig. Deshalb werden die Maultiere auch vor der Tour gemeinsam vorbereitet, damit sich bereits ein kleines Band des Vertrauens bildet und man sich gegenseitig kennenlernt. Auf der Tour selbst wird dann die eigene Kommunikationsfähigkeit auf die Probe gestellt, denn Maultiere lesen nicht zwischen den Zeilen. „Sagt nicht, was ihr nicht wollt, sondern was ihr wollt!“ ist deshalb sicherlich Julias meistgesagter Lieblingssatz.
Abschluss eines schönes Nachmittags
Alpakas sind da ein wenig entspannter. Doch auch sie können einen Gang hochschalten, und zwar genau dann, wenn es heimwärts geht. Die Aussicht auf frisches Heu, ein paar extra Leckerchen und ihre Kumpels auf der Weide lässt sie ab der letzten Steigung ein gutes Stückchen schneller gehen.
Am Hof verrät der Blick auf die Uhr, dass die Zeit wie im Flug vergangen ist. Während Milena sich um das Abzäumen kümmert und Paula noch einmal – ohne Futter – eine Runde über die Koppel dreht, stehen die Erwachsenen am Auto und unterhalten sich. Theo hingegen sitzt schon im Kindersitz und ist nach wenigen Augenblicken eingeschlafen.
Na, neugierig geworden? Die Kellerwald-Alpakas könnt ihr auf kellerwald-alpakas.de besuchen! Mehr zu Julia und ihren Mulis könnt ihr auf maultierhof.de oder in der Rubrik „Gekommen , um zu bleiben„.
Kein Futter für Weidetiere!
Auch wenn man es gut meint, sollte man unbedingt davon absehen, beim Spaziergang Alpakas, Pferde oder andere Tiere, die auf der Weide stehen, mit irgendetwas zu füttern. Viele Sachen werden nicht vertragen, es gibt Koliken, und im allerschlimmsten Fall kann sogar – wie bei den Kellerwald-Alpakas passiert – ein Tier an dieser gutgemeinten Geste verenden. Deshalb erfreut euch einfach am Anblick der schönen Tiere, und wenn sie zu euch kommen, könnt ihr auch stehen bleiben, um sie zu streicheln, aber verzichtet bitte auf jegliche Art des Fütterns und überlasst dies den Besitzern.
edlake Tipp
Häufig sind die Touren – besonders am Wochenende – bereits einige Zeit im Vorfeld ausgebucht. Solltet ihr also eine solche Wanderung in einem bestimmten Zeitraum, wie zum Beispiel eurem Urlaub oder zu einem Geburtstag, planen, dann solltet ihr euch rechtzeitig darum kümmern. Informiert euch am besten im Internet über die verschiedenen Möglichkeiten, mit Tieren zu wandern und bucht dann direkt euren Termin – so habt ihr auch schon mal ein Erlebnis, dem ihr entgegenfiebern könnt.