Man ist noch gar nicht richtig im Ort, dann fährt man eigentlich schon wieder raus: Aus Bad Wildungen-Braunau kommend nehmen wir die scharfe Linkskurve in Richtung Oberurff und sind da.
Die Edelsteinschleiferei Lange kündigt sich durch ein großes Schild an der Straße an – daneben ein riesiger Rosenquarz: Hier sind wir richtig. Ein Blick auf die Armbanduhr verrät, dass wir noch eine gute Viertelstunde haben, bevor sich die Tore zur Werkstatt um 15:00 Uhr öffnen. Genug Zeit also, sich einmal in Ruhe im Ladengeschäft umzusehen.
Der Aufsteller am Eingang weist auf die momentan typischen Corona-Zugangsbeschränkungen hin. Wir schauen also durch das großes Schaufenster des schönen Fachwerkhauses mit der Nummer 9 und erspähen nicht nur schon die ersten spannenden Objekte aus Stein, sondern stellen auch fest, dass wir warten müssen, bevor wir den Laden betreten können. Nach kurzer Zeit öffnet sich die Tür und ein Ehepaar verlässt den Verkaufsraum mit einem in Zeitungspapier eingeschlagenen Päckchen und einer taubenblauen Tüte. Ein Lächeln und eine aufgehaltene Tür später stehen wir bereits mitten im Geschäft.
Als Allererstes fällt uns eine riesige Amethystdruse ins Auge. Die Kristalle im Inneren dieses offenen Mineralienhohlraums glitzern in einem fast fliederfarbenen Violett. Wir blicken uns weiter um und entdecken einen alten Kabinettschrank mit Bergkristallen. Von den beiden Damen hinter dem Tresen, der gleichzeitig als Auslage für Schmuckanhänger, Armbänder und Ringe dient, werden wir freundlich begrüßt.
Frau Lange befindet sich gerade im Beratungsgespräch, nimmt sich aber im Anschluss kurz die Zeit, uns etwas über die Edelsteinschleiferei zu erzählen.
Über 65 Jahre in Bergfreiheit
So berichtet sie über die 65-jährige Geschichte des Familienunternehmens und erzählt von den Gesteinen, die noch heute in Bergfreiheit abgebaut werden. Die Familie Lange besitzt nämlich bis heute die Rechte zum Abbau der einheimischen Erze. Während sie erzählt, breitet sie einige dieser Steine vor uns aus: Der Kellerwald-Achat unterscheidet sich optisch nur durch seine weiße Maserung vom daneben liegenden Jaspis. Der Heliotrop besitzt hingegen ein tiefes Flaschengrün.
Als sich der nächste Kunde räuspernd dem Tresen nähert, ist das unser Stichwort, um in die Schleiferei aufzubrechen. Dafür verlassen wir den Laden und durchschreiten das nun geöffnete Tor an der Seite des Hauses.
Steine, so weit das Auge reicht
Es ist kurz nach 15 Uhr, und noch begrüßt Stefan Mersch die Besucher:innen persönlich im Innenhof, während die ersten Personen bereits die Werkstatt betreten. Wir schauen uns allerdings erst einmal auf dem Hof um: Überall finden sich große Holzkisten – die Omas Kartoffelkiste gleichen – doch sie sind voll mit Steinen. Einige sind bereits als Stelen in Form gebracht, als Brunnensteine bearbeitet oder zu Drusen aufgebrochen. Die allermeisten jedoch befinden sich noch in ihrem ursprünglichen Zustand – als wären sie frisch aus dem Berg geschlagen. Besonders ein Berg von schwarzem Obsidian, ein vulkanisches Gesteinsglas, glänzt in der nun hervorkommenden Sonne.

Altes Handwerk live erleben
Nach einiger Zeit betreten auch wir die Schleiferei und hören, wie Stefan Mersch gerade anhand eines grünlich glänzenden Gesteins die verschiedenen Stufen des Schleifprozesses erklärt. Auch hier unten finden sich noch einmal eine ganze Reihe von geschliffenen wie unbearbeiteten Mineralien, die käuflich erworben werden können. Der Edelsteinschleifer weiß zu jedem Stein etwas zu berichten. Ein Kästchen mit geschlossenen Geoden hat es uns besonders angetan. Sie wirken wie unscheinbare Steine, die man bei einem Spaziergang wohl übersehen würde, doch wenn man sie durch die Mitarbeiter öffnen lässt, enthüllen sie ihr funkelndes Geheimnis – die Kristalle im Inneren.
Mehr als 200 Rohsteinarten
Stefan Mersch berichtet indessen, dass er jedes Jahr selbst nach Südamerika fliegt, um die Gesteine für die Schleiferei auszuwählen. Doch auch zu Hause lässt ihn das Steinfieber nicht los: „So wie andere in die Pilze gehen, gehe ich in die Steine“, verrät er schmunzelnd. Zusammen mit den heimischen Erzen, die vor Ort abgebaut werden, werden in der Schleiferei über 200 Rohsteine bearbeitet, veredelt und gefasst.

Nachdem wir noch einige Zeit beim fast meditativen Schleifen der Steine zugeschaut haben, wählen wir alle noch einen Stein aus, der uns zur Erinnerung an diesen schönen Nachmittag nach Hause begleiten wird.
Ein Kellerwald-Onyx, ein grüner Achat, ein Kellerwald-Achat und ein Rosenquarz treten mit uns die Heimreise an. Und während wir um die scharfe Rechtskurve fahren, verabreden wir uns schon zum nächsten Mal – dann mit einem Besuch im Edelstein-Café.
Mehr Informationen zur Edelsteinschleiferei Lange findet ihr unter:
www.edelsteinschleiferei-lange.de